Éclat CD/LP
Das neue Jahr fängt grandios an! Wäre diese Platte der Maßstab für 2006, gäbe es spätestens im Sommer keine Arbeitslosen mehr, sämtliche überflüssigen Bands hätten sich aufgelöst, Klingeltöne wären verboten, der Weltfrieden wäre ausgebrochen und die Musikindustrie läge in den letzten Zügen. Wunderbar! Aber Musik hat leider nicht diese Wirkung, wohl auch weil einige Menschen einerseits taub und andererseits Vollzeitignoranten sind. Wohl dem, der schon im Spätherbst, als dieses Schmuckstück fertig aufgenommen war, einen Blick ins Licht werfen konnte, denn bei mir begann der Aufschwung bereits Anfang November und half durch viele trübe Tage. Lange hat es gedauert, bis MONOCHROME endlich wieder eine feste Besetzung hatten, die die Arbeit an neuen Stücken vor dem Einlernen neuer Gesellschafterinnen setzte. Aber manchmal ist weniger oft viel mehr, denn lieber genießen wir doch auf höchstem Niveau, statt uns mit Fastfood voll zu stopfen, von dem es schon viel zu viel gibt. Wir haben viele Monate gewartet, waren geduldig und wir wurden belohnt, denn "Éclat" ist wirklich grandios geworden! Da gibt es Platten, die man jedem einfach ans Herz legt. Das sind die Guten! Und dann gibt es noch die wenigen, raren Platten, die man jedem seiner (besten) Freunde einfach schenken möchte, weil sie an dem teilhaben sollen, was man selber beim ersten Auflegen verspürte. Das sind die Besten! Die Platten, die dieses kleine Kribbeln im Nacken erzeugen, das sich langsam den Hinterkopf hinauf und den Rücken hinunter zieht. Dieses Gefühl gibt es viel zu selten, und man kann sich glücklich schätzen, wenn man in jedem Jahr wenigstens einmal dieses irre Kribbeln erleben darf. Genau genommen ist es exakt das, was uns immer weiter nach neuen aufregenden Bands suchen lässt und Rezensenten dazu treibt, im tiefsten Schlamm zu wühlen, um wenigstens einmal in ihrem Leben den geneigten Lesern etwas zu hinterlassen, das er für sich als Neuentdeckung proklamieren kann. Nun sind MONOCHROME keine neue Band, und sie haben mit vorangegangenen Platten bereits erreicht, was andere in einhundert Musikerinkarnationen nicht hinbekommen werden, aber mit diesen zwölf Stücken übertreffen sie sich selbst. Das ist extrem sexy, es fühlt sich gut an und beweist einmal mehr, dass komplexe Songstrukturen nicht im Widerspruch zu Popappeal stehen muss. Die musikalische Vielschichtigkeit wird durch die erstklassige Produktion von "Éclat" erst richtig transparent, und wer die (drei) verschiedenen Sängerinnen ohne Beihilfe korrekt den Stücken zuordnen kann, der darf sich meinetwegen auch vergoldete Lautsprecherkabel für seine Anlage kaufen. Die Texte haben einen erschreckend hohen Anteil an zitierfähigen Stellen, ohne plakativ zu sein, und die zwei Gitarren spielen so gut wie nie dasselbe, sondern fließen wie zwei Bäche ineinander, die sich zu einem Fluss vereinen. Die Einmaligkeit des MONOCHROME-Sounds, der sich unter anderem im zweistimmigen Wechselgesang niederschlägt, klingt satter, wärmer und bleibt voller Überraschungen, die die Halbwertszeit der Platte über dein armseliges Leben hinaus bestimmt. Beschränkte sich der Gesangswechsel bisher fast ausschließlich auf die Refrains ... nun, überzeuge dich einfach selbst. MONOCHROME 2006 sind weiterhin Post-Punk-Hardcore-Emo-Pop-Alles-Mögliche, weitab jeder Kategorisierung und ohne Referenzen, die dem Sound auch nur annähernd gerecht würden. Dick aufgetragen? Benutz' deine Ohren, wozu hast du zwei davon, und überzeug dich! An dieser Stelle möchte ich einmal auf "entbehrliche" Musik hinweisen, die sich in den Verkaufsangeboten des weltgrößten Internetauktionshauses niederschlägt. Dort wird in der Regel alles verkauft, dessen man sich nur zu gerne entledigt, weil dort auch alles Entbehrliche einen Abnehmer findet. Je größer die Anzahl gebrauchter Platten einer Band, desto weniger relevant ist sie (es sei denn, es gibt umfangreichere Rereleases im kindersicheren Tonträgerformat oder ihr Sammlerwert ist so hoch, dass Prioritäten gesetzt werden). Such doch selber nach MONOCHROME oder nach dem Vorläufer DAWNBREED, schau selbst! "Éclat" ist groß (vielleicht größer als die Band es ahnt), eine Tour kommt, und da gibt es dann das Mehr an "kratzig", denn MONOCHROME sind nach wie vor eine der besten (Post-Hardcore-)Liveacts, den man für Geld auf einer Bühne sehen kann. Jawohl, Pop mit der richtigen Einstellung kann so schön, so hart und so verdammt sexy sein! Weniger als die volle Punktzahl wäre gelogen! (10/10)