Desperate
Eigentlich ist ein Studioalbum für die BARB WIRE DOLLS das gänzlich falsche Format. Denn diese Band zündet vor allem live. Wenn sie auftreten, dann katapultieren BARB WIRE DOLLS den Zuschauer mit ihrer an Wahnsinn nicht zu übertreffenden Frontfrau Isis Queen hinein in eine Welt, die man heutzutage sogar im Punk-Universum nur noch schwer findet.
Es geht dann um eine Art Punk, die sich nicht selbst genügt und alte Rituale wiederkäut, weil das gerade in und cool und angesagt ist. Es geht dann um Punk, der bis zum Anschlag ehrlich ist, weil nostalgisch, weil konsequent auf den alten D.I.Y.-Werten basierend.
Ein Punk, der in jeder Sekunde, in der man mit dieser Band zu tun hat, greifbar ist. Und das wollte Punk seit jeher immer sein: greifbar. Nicht unbedingt für die Masse. Aber für die Eingeweihten aus der Szene und für all jene, die noch etwas zu sagen und der Welt ein „Anti!“ entgegenzuschleudern haben.
Manche sprechen bei den BARB WIRE DOLLS von Show. Oder Fake. Oder Kalkül. Von völlig übertriebenem Gehabe. Und sie vergessen dabei, dass diese Band in den vergangenen Jahren über 700 Konzerte in aller Herren Länder gespielt hat.
So eine Menge steckt man nicht einfach so weg, um dann am Ende auf der Bühne zu stehen und die Menschen zu verarschen. So eine Menge an Auftritten prägt zwangsläufig die Persönlichkeit. Prägt die Musik.
So eine Menge zeigt, wie Punk am besten Fall noch funktionieren kann in Zeiten von Handys auf Konzerten und Musik-Downloads, von Nietengürtel und Bandshirts bei H&M: indem man der Sicherheit und dem bürgerlichen Wohlbehagen völlig entsagt.
Und die BARB WIRE DOLLS entsagen einem sicheren Lebensplan jeden Abend aufs Neue – was sie live so unheimlich aufregend und zu einer Konzertband macht. Indes: Auch Live-Bands brauchen Songs, die sie live spielen können.
Und die Songs des neuen Albums „Desperate“ sind prädestiniert dafür, Abend für Abend einen Furor zu entfachen. Weil sie diesen Trademark-Sound der griechischstämmigen Amerikaner haben: in Grunge und Garagenrock verwurzelter Punk, der nicht nur Raserei kennt („Heart attack“, „Darby Crash“), sondern auch die Zwischentöne und Facetten („I will sail“).
Denn Wut kommt nie allein. Wut geht immer auch mit Schmerz und Melancholie einher. Man möchte nicht jeden Tag Steine werfen. Man möchte auch einfach mal nur klagen und bedauern, ehe man die nächste Attacke nach dem Dolls-Motto „Make riot, not war“ startet.
„Desperate“ klingt, wie der Vorgänger „Slit“, mächtig und kraftvoll produziert. Und trotzdem nach einem harten, die Kräfte aufzehrenden Dasein „on the road“. Es klingt räudig und sehnsuchtsvoll.
Es tritt dem Hörer in den Hintern und umarmt ihn. Es schleudert der Welt Hass und Abscheu entgegen – und feiert doch auch ihre schönen Seiten: das Miteinander. Den Freigeist. „Desperate“ ist gekonnt vertontes Leben.
Eins zu eins. Ein Konzert auf Platte.